Ankündigung: METULCZKI - Trinkgedächtnisse |
Mittwoch, 9. Oktober 2013 | |
Quelle: ARTAe Galerie & Kunstvermittlung
Eidetische Biere
„Genaugenommen gibt es ‚die Kunst‘ gar nicht. Es gibt nur Künstler“, beginnt Ernst H. Gombrichs Standardwerk Die Geschichte der Kunst, und ein paar Zeilen später weist Gombrich alles Gerede „über das ‚Wesen der Kunst‘“ als schädlich und töricht zurück. Damit hätten wir das. Also reden wir über den Künstler Metulczki. Als ich vor einigen Jahren zum erstenmal einiger Bilder aus seiner Serie „Bierleben“, die nun unter dem Titel „Trinkgedächtnisse“ firmiert, ansichtig wurde, verschlug es mir buchstäblich beinahe den Atem. Die Präzision und die Leuchtkraft der meist kleinformatigen Acryl-Schellack-Lasurgemälde wirkten auf mich – und sie tun es bis heute unvermindert – epiphanisch, salvatorisch und beglückend zugleich. Das profane Wunder, das sich in zwei Biergläsern bezeugt, die, in warmes Licht gehüllt, auf einem Tresen oder einem hölzernen Kneipentisch stehen beziehungsweise ruhen wie Zeugen einer Welt ohne Kapital, Börse, Staat und Bürokratie – ja, tja, es ist eben: ein Wunder der Wirklichkeit selbst, eine Erscheinung dessen, was ist und zugleich sein sollte, ein Mirakel, das sich im Kleinteiligen, Mißachteten zeigt und deshalb schlicht von Wahrheit kündet, vom – mit Aristoteles und keinesfalls Richard D. Precht zu reden – guten Leben; das, Kürnbergers/Adornos Diktum vom Leben, das nicht mehr lebt, zum Trotz, in Trinkwirtschaften alten Stils noch eine Zufluchtsstätte findet; und auf Metulczkis verschwommenen, ins Abstrakte tendierenden „Kühlschrankbildern“, übermalten und mehrfach übergossenen und überklebten Alltagsphotoimpressionen von gesichtslosen Herumstehern und -hängern und -hockern und Säufern und Tippelbrüdern, schmerzlich konterkariert wird. Hie das Lichte, Exakte, Plastische, Gegenständliche, das in seiner „Zuhandenheit“ (Heidegger) schier sprachlos machend Schöne und Besänftigende; da das Amorphe eines intoxikierten Lebens, das Metulczki, ohne uns mit sozialpädagogischen Implikationen zu behelligen, festhält, womöglich auch transzendiert. Das Stilleben war in der durchweg bewunderungswürdigen protestantischholländischen Malerei des 17. Jahrhunderts das am stärksten ausdifferenzierte Genre. Da „konnte der Künstler sich aussuchen“, schreibt Gombrich, „was er gerne malen wollte, und die Gegenstände so auf dem Tisch anordnen, wie es ihm paßte. So wurde die Bildgattung zu einem wunderbaren Experimentierfeld für malerische Probleme.“ Hier war der Maler wohl zum erstenmal frei – befreit von den Diktaten seiner Auftraggeber, von den Potentaten, die schmeichelhaft-repräsentative Porträts bestellten, von geschichtlichen Großerzählungen und Mythenstoffen. In der Konzentration auf die Dinge vollzog sich die Suspendierung der Herrschaft, und so konnten „ganz uninteressante Gegenstände ein vollendetes Bild ergeben“ (Gombrich). Ich zögere keinen Augenblick, Metulczki an die Seite eines Willem Kalf oder eines Vermeer zu stellen, dem Gombrich attestierte, reine „Wunder“ geschaffen zu haben. Die harmonischen Licht-Schatten-Kontraste, die Reflexe und Brechungen, die wie naturgegeben in sich vollendeten Farb-Form-Kompositionen, die „Körperlichkeit“ der Gläser, Stühle, Tische und angeschnittenen Räume – all das läßt die „Trinkgedächtnisse“ bisweilen photographisch wirken, was, wie man hört, in der vermaledeiten „Kunstszene“ heute kein Malus mehr ist. „Dinge sichtbar zu machen, die schon sichtbar waren, aber nicht gesehen wurden“ (Sandra Markewitz) – diesem Ziel galten Siegfried Kracauers Studien über die „Errettung der äußeren Wirklichkeit“. Metulczki setzt sie fort und ist dabei völlig glaubwürdig. Er hat jedes einzelne der zu sehenden Biere höchstselbst getrunken – und dabei vermutlich als allererster Maler das eidetische Bier entdeckt. „Eidos“ bezeichnet bei Aristoteles, in Abgrenzung zur bloßen Materie („hyle“), die „inseiende Form“, das Allgemeine am je besonderen Stofflichen. Das Wesen des Bieres wird geschaut, an Hand des angeschauten einzelnen Gegenstandes (Bierglases). Metulczkis Bier- Eidetik folgt dergestalt der von Edmund Husserl entwickelten phänomenologischen Methode der eidetischen Reduktion: des Erfassens evidenter Phänomene, die es der Intuition zufolge tatsächlich gibt. Durch reines Schauen, das „intentionale Erlebnis“ unter Ausschluß aller Vorurteile („Epoché“), erschließt sich die Wesenhaftigkeit der Dinge – respektive das Wesen („Eidos“) des Bieres. Bierphänomenologie also ist, mit Husserl zu reden, auch: „Wesensschau des Gegebenen“. Da allerdings schwer zu sagen ist, was das Wesen des Bieres schlechthin ausmacht, ordert Metulczki immer wieder ein Glas Bier, schaut es schweigend an, photographiert es, trinkt es und malt es hinterher, in mehreren Schichten. Und wenn Ernst H. Gombrich angesichts der holländischen Meister erläutert: „Sie waren es, die uns gelehrt haben, das Malerische in der vertrauten Umgebung zu suchen“; sie „konnten ohne dramatische Effekte auskommen; sie malten einfach ein Stück Welt, wie sie es sahen“ – dann sage ich: Metulczki, dieser „Hexenmeister“ (Gombrich über Rembrandt), macht eine Welt, eine Wirklichkeit, eine Wesenhaftigkeit sichtbar, die bislang niemand gesehen hat und doch jeder kennt. Und wie er das macht, das ist ein Wunder, das bewundert werden soll. Nein, muß. Jürgen Roth, freier Autor, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main
Daten
Zeitraum: 25.10. - 21.12.2013 / ARTAe Galerie Leipzig
Eröffnung: Freitag, 25.10.2013 von 18 – 22 Uhr Einführung um 19 Uhr: Dr. Johannes Stahl, Kunsthistoriker, Frankfurt /Main
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